Kämpfer und Gewinner ohne Waffen

Group picture of Syrian, Lebanese and Palestinian Youth
Montag, 12. August 2019 - 17:11

By Iris Manner, World Vision Germany

Jugend-Initiative fördert Arbeitsplätze und sozialen Zusammenhalt im Nahen Osten


Junge Menschen im Nahen Osten haben sicherlich noch mehr Gründe als Europäerinnen und Europäer, auf die aktuellen Spannungen in der Golf-Region verunsichert zu reagieren. Der seit mehr als acht Jahren dauernde Krieg in Syrien hat vielen jungen Menschen bereits Perspektiven genommen und Resignation ausgelöst. Wenn sich ihre Aussichten auf Frieden und ein selbständiges Leben nicht verbessern oder sich sogar verschlechtern, werden immer mehr Jugendliche ihre einzige Chance in der Auswanderung sehen.

Die Zukunft liegt aber in der Jugend. Es ist klar, dass sich die Region nur dann erholen und positiv entwickeln kann, wenn die Jugend an ihre Zukunft glaubt und Chancen erhält, ihre Talente einzusetzen.

Die gute Nachricht ist: es gibt auch neue Hoffnung unter Jugendlichen.

Yara aus Syrien, Hani aus dem Nordirak, Firas Moussa aus dem Libanon oder das Team "Martha Edu" aus Jordanien sind beste Beispiele dafür. Gerade auf dem Absprung aus dem Teenager-Alter oder bereits in den Zwanzigern zeigen diese jungen Männer und Frauen großes Interesse daran, eine gute Ausbildung zu bekommen und vor Ort eine Karriere zu beginnen. Wo ihnen der Raum und etwas Start-Up-Hilfe gegeben wird, können sie auch noch mehr erreichen.

Gerade in diesem spannungsgeladenen Sommer feilen Gruppen solcher Jugendlicher an spannenden Projekten. Der Internationale Jugendtag 2019 bietet eine gute Gelegenheit, der Welt etwas davon zu erzählen.


Die Intitiative YOUTH RESOLVE bietet Perspektiven
 

Das 2017 gestartete Jugendförderprogramm YOUTH RESOLVE verfolgt das Ziel, bei jungen Flüchtlingen und in der jungen Bevölkerung der Nachbarländer Syriens Selbstvertrauen und Widerstandsfähigkeit aufzubauen, Spannungen zwischen ihnen dagegen zu reduzieren. Es wird aus dem Regionalen Treuhandfonds der Europäischen Union für Hilfsmaßnahmen in der Syrienkrise, dem Madad-Fonds, finanziert.

Im Irak, in Jordanien und im Libanon verschafft YOUTH RESOLVE hilfsbedürftigen Jugendlichen Anschluss an das öffentliche Bildungssystem oder alternative Lernangebote und Ausbildungsplätze. YOUTH RESOLVE fördert aber auch gemeinschaftliches Engagement der Jugendlichen, Sport-und Kultur-Aktivitäten sowie Friedenspädagogik. Seit 2019 dient YOUTH RESOLVE auch als Plattform für Jugendliche, um politische Dialoge auf verschiedenen Ebenen zu initiieren.

Umgesetzt werden die Einzelprojekte von mehren Organisationen, darunter Caritas Libanon, Generations for Peace, Islamic Relief, Questscope und World Vision. 

Youth Resolve interview with young woman

Praktische Berufsausbildung oder Praktika als Chance


Für die 19-jährige Yara und den 21-jährigen Hani hat sich eine Kombination aus praktischer Berufsausbildung und Praktikum als erfolgreicher Weg aus der Isolation und Abhängigkeit erwiesen. Beide konnten ihre Schulausbildung wegen Gewalt und kriegsbedingter Armut nicht abschließen - die Familie Yaras ließ sich als Flüchtlinge in der Region Kurdistan im Irak (KRI) nieder und Hani wurde als Halbwaise vertrieben, nachdem der IS nach Sinjar kam.

"Weil ich die älteste der Geschwister bin, fühlte ich mich für meine Familie verantwortlich", erzählt Yara, deren Eltern keine Arbeit fanden. Auf der Suche nach einer Chance, beruflich Fuß zu fassen, bewarb sich Yara für einen Kurs bei YOUTH RESOLVE und lernte Englisch. Dabei gewann sie auch neue Freunde unterschiedlicher Herkunft. Nachdem Yara als talentierte Absolventin hervortrat, vermittelte World Vision Irak ihr ein praktisches Jobtraining in einem medizinischen Zentrum in Domiz Town, wo sie lernte, wie man medizinische Optiken von Brillen und Linsen herstellt. Diese Lernmöglichkeit hatte mehrere positive Auswirkungen, wie die junge Frau sagt. "Mir gefiel meine neue Rolle sehr; ich sammelte neue Fähigkeiten und Erfahrungen und konnte neue Kontakte zu meiner Umgebung aufbauen." Da Yara ihre Ausbildung mit qualitativ hochwertiger Arbeit und einer positiven Einstellung abgeschlossen hatte, wurde ihr sofort ein Vertrag für die Arbeit in der optischen Abteilung der Firma angeboten. 


Hilfe durch Berufsqualifizierung und Existenzgründung


Auch Hani gelang es dank YOUTH REOLVE nach einem einmonatigen Mechanikerkurs eine handwerkliche Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Der Inhaber einer Werkstatt in Semel brachte dem heute 21jährigen bei der Arbeit mit Autoreparaturen bei, was er als Angestellter oder auch als Unternehmensgründer zu tun hat. Hanis wichtigste Lektion auf dieser Reise war der Glaube an sich selbst. Er ermutigt andere Jugendliche, Arbeit zu suchen, eine Karriere zu beginnen und zuversichtlich zu sein, dass sie erfolgreich sein werden, wenn sie hartnäckig sind, ihre Soft Skills verbessern und ihr Kontakt-Netzwerk pflegen.

Da die Privatwirtschaft in der Region bisher nicht in der Lage ist, allen Jugendlichen Arbeitsplätze zu bieten, auch wenn sie eine Ausbildung abgeschlossen haben, unterstützt YOUTH RESOLVE neben der Berufsqualifizierung auch Existenzgründungen. 

Die Initiative half bisher mehr als 2.900 jungen Menschen in Jordanien und im Irak, marktfähige und beschäftigungsfähige Fähigkeiten zu erwerben, und rund 254 erwirtschaften sich bereits selbst ein Einkommen.


Jugendliche präsentieren innovative Geschäftsideen


Es gibt sogar einen eigenen Wettbewerb, bei dem die besten Geschäftsideen ausgezeichnet werden. Die jordanische Version des Gründerwettbewerbs fand am 24. Juni in Amann statt. 42 Teams aus jungen Syrern und Jordaniern präsentierten einer Jury ihre Ideen. Die besten 15 erhielten eine Auszeichnung und als kleine Startup-Hilfe ein Preisgeld. «Diese jungen, enthusiastischen Unternehmer erinnerten mich daran, wie ich selbst angefangen habe – und an meinen festen Glauben, dass nur der Himmel die Grenze ist», erzählt Roaa Alkhudari, Private Sector Engagement Officer bei World Vision.

"Wir waren beeindruckt von den Ideen dieser jungen Syrer und Jordanier, auch von der Motivation und Leidenschaft im Raum", berichtet Grace Atkinson, Direktorin des Koopeationspartners Jusoor und eine der JurorInnen im Wettbewerb. "Auch Teams, die ihre hier vorgestellte Idee nicht weiter verfolgen, werden gewiss neue Arbeitsplätze schaffen, da sie aus diesem Programm mit vielen übertragbaren Fähigkeiten hervorgehen“, ist sie überzeugt.

Zu den Gewinnern des Wettbewerbs zählt „JoRecycle“ - ein Konzept für Abfallrecycling, „MyBox“ - ein Bildungsbaukasten, der die Kreativität von Kindern fördert, sowie die „Mushroom Box“, ein intelligentes System zur Pilzzucht. Ein gemeinsam von Jusoor und World Vision Jordanien mit Wirtschaftspartnern durchgeführtes Programm führt diese jungen Unternehmer durch ihre Geschäftsentwicklung. Bevor die jungen Leute zum Wettbewerb antraten, erhielten sie ein Bootcamp-Training und intensive Beratung durch Mentoren.

Mehr als 355 Bewerbungen für das diesjährige Programm sind ein Hinweis auf das große Interesse an dieser Art von Unterstützung, allein in 4 jordanischen Städten. Die landesweite und regionale Nachfrage ist noch viel höher, wie eine Social-Media-Kampagne vor dem Training zeigte. Es werden mehr Partner benötigt, um die Initiative auf weitere Standorte und Geschäftsmodelle auszudehnen.

 "Wir waren beeindruckt von den Ideen dieser jungen Syrer und Jordanier, auch von der Motivation und Leidenschaft im Raum."
– Grace Atkinson


Runder Tisch mit politischen Entscheidungsträgern


In der Zwischenzeit haben andere Jugendliche begonnen, auf politische Entscheidungsträger zuzugehen, um die Rahmenbedingungen für ihre Entwicklungsmöglichkeiten zu verbessern. Am 22. Juli schilderten YOUTH RESOLVE-Teilnehmer und Teilnehmerinnen bei einem Runden Tisch mehreren Regierungsvertretern und der Delegation der Europäischen Union in Jordanien ihre Probleme und Ideen für Reformen. Der Runde Tisch konnte dran anknüpfen, dass einige Tage vorher die Nationale Jugendstrategie 2019-2025 für Jordanien vorgestellt worden war. Die Themen der Strategie treffen im wesentlichen Anliegen der Jugendliche, beispielsweise die Förderung von Jugendunternehmertum, Rechtsstaatlichkeit sowie gute Regierungsführung. Der Runde Tisch war eine Gelegenheit für Jugendliche, ihre Erkenntnisse über eine effektive Umsetzung zu vermitteln.

 

Gemeinsam Lösungen für Probleme finden
 

Ein ähnlicher Runder Tisch in Beirut versammelte libanesische, syrische und palästinensische Jugendaktivisten, die ihre Hoffnungen mit Politikern und internationalen Experten in der EU-Vertretung diskutierten. Workshops von YOUTH RESOLVE hatten "Newcomer" unter den jungen Aktivisten  gelehrt, wie man einen solchen politischen Dialog initiiert und strukturiert, während erfahrenere Jugendgruppenleiter dabei halfen die Stimmen der Jugend einzufangen und die Diskussion zu leiten. Unter ihnen die 27-jährige Syrerin Israeli Alhasan, die heute in Saida (Südlibanon) lebt und der es trotz großen finanziellen Drucks und Ausgrenzung an der Uni gelang einen Master-Abschluss in Nachrichtentechnik zu machen. Derzeit arbeitet Isra ehrenamtlich für die Jugendförderprogramme von Islamic Relief und wurde ausgewählt, um Jugendliche mit ähnlichen Erfahrungen auf der dritten Syrien-Konferenz in Brüssel zu vertreten. Über ihre Beobachtungen mit der Initiative YOUTH RESOLVE sagt sie:

"Wir hatten Konflikte zwischen Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft, aber wir konnten diese mit unseren gemeinsamen Aktivitäten überwinden. Die Tatsache, dass verschiedene Jugendliche Gemeinsamkeiten entdecken und Lösungen für ihre Probleme miteinander finden können, ist sehr positiv."

Round Table conversation led by Lebanese and Syrian Youth


Jugendliche wollen an Entscheidungsprozessen beteiligt werden
 

Wie wichtig es für die Jugendlichen ist an allen sie betreffenden Entscheidungsprozessen zu beteiligen begründeten Teilnehmer wie der 21-jährige Libanese Firas Moussa mit eigenen Erfahrungen. Firas engagiert sich in einem kommunalen Jugendbeirat, den es noch nicht lange gibt. Aus seiner Sicht brauchen alle Jugendlichen im Libanon – einschließlich der im Land lebenden Flüchtlinge - einen anerkannten und klaren Kanal für direkte Kommunikation mit Gesetzgebern und Politikern. Außerdem wünschen sich die jungen Aktivisten einen besseren Schutz ihrer Bürgerrechte (wie das Recht auf frei Meinungsäußerung) und budgetierte Projekte in Gemeinden.

„Mit der lokalen Ebene zu beginnen wäre ein guter und effektiver erster Schritt“, findet Firas Moussa. So steht es auch im Positionspapier der Jugendlichen. Die Regierung sollte die landesweite Einrichtung von Jugendausschüssen in Gemeinden nach dem Vorbild einiger bereits aktiver Jugendräte in Vororten von Beirut unterstützen. World Vision Libanon unterstützte den Aufbau dieser Jugendbeiräte, die inzwischen vollständig anerkannt und in die Gemeinden integriert sind.


Quick-Impact: Projekte zeigen Wirkung und führen zu mehr Stabilität
 

Durch einige "Quick-Impact"-Projekte konnte schon gezeigt werden, dass Jugendliche mit gestärktem Selbstvertrauen und Übung in der Kommunikation kompetente Partner für Entwicklung sein können. In vielen Fällen wurde dabei der persönliche Nutzen von neuen Lernerfahrungen zu einem Nutzen für die Familie und die Gemeinschaft. Eine der Grundannahmen von YOUTH RESOLVE wird sich mit der Zeit sicherlich noch deutlicher bestätigen:  dass inklusive Bildung und Interaktion den sozialen Zusammenhalt fördern und letztendlich zu mehr Stabilität führen.

Übrigens: Die natürliche Nutzung der digitalen Technologie durch die Jugend bringt ebenfalls Chancen auf mehr Zusammenhalt mit sich: Eine der mit YOUTH RESOLVE kooperierenden libanesischen Gemeinden wird bald über ein APP verfügen, die es jedem leicht macht, öffentliche Dienste, jugendfreundliche Räume und interessante Tourismusziele zu finden.

Weitere Informationen über den EU-MADAD-Fonds finden Sie hier.